Auf einen Blick: In der vorliegenden Blog-Serie wird ein Leitfaden bezüglich der Patentierung von medizinischen Erfindungen bereitgestellt. Teil 1 beschäftigt sich mit dem Unterschied zwischen medizinischen Verfahren und Produkten. Zudem wird ein besonderer Fall besprochen, in dem auch ein medizinisches Produkt vom Patentschutz ausgenommen ist.
Worum geht es?
Medizinische Verfahren, d.h. chirurgische, therapeutische oder diagnostische Verfahren, sind vom Patentschutz ausgenommen.
Warum ist das wichtig?
Ob es möglich ist, Ansprüche für Ihre medizinische Erfindung in einer Form aufzustellen, die nicht vom Patentschutz ausgenommen ist, ist abhängig davon, was in Ihrer Patentanmeldung offenbart ist.
Was ist der kritische Punkt?
Obwohl medizinische Produkte im Allgemeinen nicht vom Patentschutz ausgenommen sind, wird ein auf ein medizinisches Produkt gerichteter Anspruch dennoch vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn zur Bereitstellung des medizinischen Produkts zwingend ein medizinischer Verfahrensschritt durchgeführt werden muss.
Was muss beachtet werden?
Die Entscheidung, welche Anspruchskategorie gewählt werden muss und welche Details der Erfindung offenbart werden müssen, sowie die Beurteilung, ob ein medizinischer Verfahrensschritt zwingend in der Bereitstellung eines medizinischen Produkts enthalten ist, sind bei der Ausarbeitung von Patentanmeldungen für medizinische Erfindungen von größter Wichtigkeit.
Überblick
Das nachfolgende Flussdiagramm stellt eine Leitlinie für die Beurteilung, ob eine medizinische Erfindung vom Patentschutz ausgenommen ist, dar. Jeder Schritt des Flussdiagramms wird nacheinander in der vorliegenden Serie von Blog-Beiträgen diskutiert.
Schritt 1: Medizinisches Produkt oder Verfahren?
Medizinische Verfahren sind vom Patentschutz in Deutschland und vor dem Europäischen Patentamt (EPA) ausgenommen[1]. Diese Ausnahme vom Patentschutz basiert auf dem Grundprinzip, dass jede Ärztin bzw. jeder Arzt frei in ihrer bzw. seiner Wahl der besten Behandlung für Patientinnen und Patienten sein soll, ohne sich Gedanken über etwaige rechtliche Folgen wegen einer Patentverletzung machen zu müssen. Die allgemeine Frage: “Könnte ich basierend auf dem vorliegenden Anspruch eine Ärztin bzw. einen Arzt wegen Patentverletzung verklagen?” stellte eine gute erste Prüfung bei der Beurteilung, ob der Gegenstand eines Anspruchs vom Patentschutz ausgeschlossen ist, dar.
Produkte zur Verwendung in medizinischen Verfahren (medizinische Produkte bzw. Medizinprodukte), z. B. Substanzen, Zusammensetzungen, Vorrichtungen und Geräte, sind hingegen explizit nicht vom Patentschutz in Deutschland und vor dem EPA ausgenommen[2]. Ebenso sind Herstellungsverfahren solcher medizinischen Produkte nicht ausgeschlossen. Dies ist auch in Einklang mit dem Grundprinzip, Ärztinnen und Ärzte nicht an der Bereitstellung der bestmöglichen Versorgung zu hindern. Denn die Verwendung solcher medizinischen Produkte, z. B. eines medizinischen Geräts während einer Operation, also die tägliche Arbeit einer Ärztin oder eines Arztes verletzt bloße Vorrichtungsansprüche, die auf solche medizinischen Produkte gerichtet sind, nicht. Das Herstellen, Anbieten und/oder Verkaufen medizinischer Geräte (ohne Zustimmung der Patentinhaberin bzw. des Patentinhabers), also das was eine Mitbewerberin bzw. ein Mitbewerber evtl. machen könnte, verletzt hingegen auf besagte medizinische Geräte gerichtete Vorrichtungsansprüche regelmäßig.
Demnach kann im Allgemeinen die Ausnahme vom Patentschutz vermieden werden, indem eine medizinische Erfindung in Form eines Vorrichtungsanspruchs geschützt wird. Wenn ein Verfahren geschützt werden muss, sind weitere Schritte der Beurteilung, ob das entsprechende Verfahren als medizinisches Verfahren einzustufen und somit evtl. vom Patentschutz ausgenommen ist, durchzuführen (wird in den nachfolgenden Blog-Beiträgen diskutiert).
Allerdings gibt es eine besondere Konstellation, in der, obwohl ein medizinisches Produkt beansprucht wird, der Gegenstand vom Patentschutz ausgenommen ist: Wenn zur Bereitstellung des beanspruchten medizinischen Produkts zwingend ein medizinischer Verfahrensschritt, insbesondere ein chirurgischer Schritt, durchgeführt werden muss, ist besagtes medizinisches Produkt ebenfalls vom Patentschutz ausgenommen[3].
Rechtsprechungsbeispiel: Hirnimplantat (T 1731/12)
Anspruch 1 des zugrundeliegenden Patents EP 1 613 394 B1 betrifft ein:
Gerät mit zwei Elektroden und einer Steuerung, die derart eingerichtet sind,
dass die Stimuli der Elektroden die Phase der neuronalen Aktivität von wenigstens zwei Sub-Populationen einer Neuronenpopulation zurücksetzen, sodass die zwei Sub-Populationen verschiedene Phasen nach den Stimuli haben.
Laut der Beschreibung sind vorbereitende Messungen und Kalibrierungen unter Verwendung der bereits implantierten Elektroden notwendig, um die beanspruchten zurücksetzenden Stimuli (funktionales Merkmal) bereitzustellen.
Demnach ist bei der Bereitstellung des medizinischen Produkts, also des Hirnimplantats, ein chirurgischer Schritt implizit und unvermeidlich umfasst. Um die passenden Stimuli abgeben zu können, ist eine Kalibrierung des Geräts in einem Zustand, in dem die Elektroden bereits im Gehirn des Pateienten implantiert sind, nötig. Daher muss zwingend ein chirurgischer Schritt durchgeführt werden, um zu dem finalen einsatzbereiten Hirnimplantat zu gelangen. Demzufolge hat die Beschwerdekammer (BK) das Patent widerrufen.
Zusammenfassung
Wenn Sie eine medizinische Erfindung patentieren möchten, sollten Sie in einem ersten Schritt bestimmen, ob der Gegenstand eines entsprechenden Verfahrensanspruchs als medizinisches Verfahren eingestuft und vom Patentschutz ausgenommen werden würde. Ferner sollten Sie, wenn sie ein entsprechendes medizinisches Produkt beanspruchen, sicherstellen, dass das besagte medizinische Produkt nicht nur mittels eines medizinischen Verfahrensschritts bereitgestellt werden kann, welcher zwingend und implizit von dem Vorrichtungsanspruch umfasst wäre und somit zur Ausnahme vom Patentschutz führen würde.
Download
Hier können Sie eine Zusammenfassung des Blog-Beitrags in englischer Sprache als schnellen Überblick herunterladen:
[1] Art. 53(c) S. 1 EPÜ, § 2a Abs. 1 Nr. 2 S. 1 PatG
[2] Art. 53(c) S. 2 EPÜ, § 2a Abs. 1 Nr. 2 S. 2 PatG
[3] T 775/97 (2.6 der Entscheidungsgründe)