Auf einen Blick: In der vorliegenden Blog-Serie wird ein Leitfaden bezüglich der Patentierung von medizinischen Erfindungen bereitgestellt. Teil 2 beschäftigt sich mit der Frage, ob das Verfahren am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen wird. Falls nicht, ist das Verfahren, z. B. ein In-vitro-Verfahren, nicht vom Patentschutz ausgenommen.
Worum geht es?
Nur wenn ein Verfahren am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen wird, kann besagtes Verfahren als medizinisches Verfahren eingestuft werden, das vom Patentschutz ausgenommen ist.
Warum ist das wichtig?
Abhängig davon wie Ihre Erfindung beschreiben ist, ist es u. U. nicht möglich, durch Ausschluss von am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenen Schritten aus den Ansprüchen die Ausnahme vom Patentschutz zu umgehen.
Was ist der kritische Punkt?
Um zu verhindern, dass ein Verfahren, das eine medizinische Erfindung betrifft, von der Ausnahme vom Patentschutz betroffen ist, ist es sehr wichtig für jeden Schritt des Verfahrens zu ermitteln, ob dessen Durchführung eine Interaktion mit dem menschlichen oder tierischen Körper impliziert.
Was muss beachtet werden?
Vor der Einreichung einer Anmeldung muss festgestellt werden, ob ein Verfahren, dass eine medizinische Erfindung betrifft, ohne jeglichen am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenen (technischen) Schritt beschrieben und beansprucht werden kann.
Overview
Das nachfolgende Flussdiagramm stellt eine Leitlinie für die Beurteilung, ob eine medizinische Erfindung vom Patentschutz ausgenommen ist, dar. Jeder Schritt des Flussdiagramms wird nacheinander in der vorliegenden Serie von Blog-Beiträgen diskutiert.
Schritt 2: Am menschlichen oder tierischen Körper?
Gemäß dem deutschen Patentgesetz (PatG) und dem Europäischen Patent Übereinkommen (EPÜ) sind medizinische Verfahren, d. h. chirurgische und therapeutische Verfahren sowie Diagnostizierverfahren (diagnostische Verfahren), die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, vom Patentschutz ausgenommen[1]. Wie im vorgherigen Blog-Beitrag beschreiben, soll jede Ärztin bzw. Jeder Arzt frei in ihrer bzw. seiner Wahl der besten Behandlung für Patientinnen und Patienten sein, ohne sich Gedanken über etwaige rechtliche Folgen wegen einer Patentverletzung machen zu müssen. Wenn ein Verfahren, das eine medizinische Erfindung betrifft, am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen wird, ist dieses Verfahren wahrscheinlich als medizinisches Verfahren einzustufen und von dem Patentschutz auszunehmen[2].
In G 1/04, der Kernentscheidung bezüglich diagnostischer Verfahren (Diagnostizierverfahren), die dennoch auch teilweise auf chirurgische und therapeutische Verfahren anwendbar ist, hat die Große Beschwerdekammer (GBK) festgestellt, dass der Ausschluss medizinischer Verfahren eng auszulegen ist. Bezüglich chirurgischer und therapeutischer Verfahren bedeutet das, dass nur wenn ein Schritt am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen wird, kann besagter Schritt als chirurgischer oder therapeutischer Schritt eingestuft werden. Bezüglich diagnostischer Verfahren bedeutet das, dass alle technischen Schritte (wird in einem der nachfolgenden Blog-Beiträge diskutiert) am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden müssen. Eine spezifische Art oder Intensität der Interaktion mit dem menschlichen oder tierischen Körper ist dabei nicht nötig. Zudem kann ein entsprechendes Verfahren nur dann als medizinisches Verfahren eingestuft werden, wenn ein Schritt am lebenden menschlichen/tierischen Körper vorgenommen wird, das bedeutet, dass insbesondere In-vitro-Verfahren nicht vom Patentschutz ausgenommen sind[3].
Rechtsprechungsbeispiel: Behandlung von Gas (T 0238/06)
Anspruch 1 der zugrundeliegenden Patentanmeldung EP 1 386 629 A2 betrifft ein:
Verfahren zur Behandlung von Gas zur Verwendung bei einem endoskopischen Eingriff, umfassend:
Einleiten von Gas in eine Behandlungskammer;
Behandeln des Gases (Erwärmen und Befeuchten); und
Zuführen des behandelten Gases (für den endoskopischen Eingriff).
Insufflationsgas zum Aufblähen von Körperhöhlen eines Patienten während eines endoskopischen oder laparoskopischen Eingriffs wird vorbehandelt (erwärmt und befeuchtet) bevor es in die Körperhöhle eingeleitet wird. Hier ist der Schritt des Aufblähens einer Körperhöhle eines Patienten mit Gas zweifelsfrei ein medizinischer Schritt. Jedoch betreffen alle beanspruchten nur die Vorbehandlung des Insufflationsgases, die in einer vom Patienten unabhängigen Kammer (Bezugszeichen 6 in Fig. 2 oben). Daher verlangt keiner der beanspruchten Schritte eine Interaktion mit dem Patienten. Das beanspruchte Verfahren wird daher nicht am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen und ist nicht vom Patentschutz ausgenommen.
Wenn jedoch der Schritt des Einleitens des vorbehandelten Gases in den Patienten auch Teil des Anspruchs 1 wäre, wäre das Verfahren ein chirurgisches Verfahren und vom Patentschutz ausgenommen.
Zusammenfassung
Wenn Sie eine medizinische Erfindung in Form eines Verfahrensanspruchs patentieren möchten, sollten Sie feststellen, woran die relevanten Schritte vorgenommen werden (in-vivo vs. in-vitro). Wenn einer der Schritte tatsächlich am lebenden menschlichen oder tierischen Körper (in-vivo) vorgenommen wird, sind weitere Schritte der Beurteilung, ob das entsprechende Verfahren als medizinisches Verfahren einzustufen und somit evtl. vom Patentschutz ausgenommen ist, durchzuführen (wird in den nachfolgenden Blog-Beiträgen diskutiert).
Download
Hier können Sie eine Zusammenfassung des Blog-Beitrags in englischer Sprache als schnellen Überblick herunterladen:
[1] Art. 53(c) S. 1 EPÜ, § 2a Abs. 1 Nr. 2 S. 1 PatG
[2] G 1/04, T 789/96, T 245/87
[3] T 0182/90